Inhalt
1.
Einleitung und Zusammenfassung
2. Raum teilen
3. Zusammenhänge
4. Selbsterkenntnis als Suche nach dem Ganzen
5. Kosmos und Prozess
1.
Einleitung und Zusammenfassung
Als
erstes möchte ich Sie einladen, die Auseinandersetzung eines
unbegrenzten ungeteilten Raumes mit einem zweiten, dritten und
vierten mitzuvollziehen, um das Entstehen von Begrenzung auf vielleicht
neue Art zu erleben.
Danach folgen ein paar Beispiele, wie man die davon abgeleiteten
Begriffe und Modelle empirisch fruchtbar machen könnte.
Den Abschluss bildet eine skizzenhafte kognitive Rekonstruktion
des ganzen Menschen, beginnend mit einzelnen Körperteilen.
Probleme der Anthropologie, Entwicklungspsychologie und Philosophie
werden spekulativ in dieses Panorama der Menschwerdung eingebunden.
2.
Raum teilen
Denken
wir das Eine als Einziges, können wir uns Raum ohne Begrenzung
vorstellen, ohne Differenzierung, Farbe, Struktur, ein leeres
Universum, etwas ohne irgendetwas, besser: ein Nichts.
Denken wir ein Zweites dazu, entsteht Beziehung, im Raum entsteht
Nachbarschaft, sei sie ein Nebeneinander oder ein Ineinander,
zwei heißt Grenze.
Als Grenze zwischen zwei Räumen ist sie nur flächig
zu denken, im Detail wie eine Ebene, als Ganzes vielleicht gekrümmt.
Stellen wir uns diese eine "Grenze zwischen zwei" vor,
ein interface, das immer "inter two" ist. Es fällt
uns schwer, eine Grenze zwischen zwei leeren Räumen, zwischen
zwei Teilräumen vorzustellen, aber eine Wand oder eine Folie
wäre ja schon ein Drittes, ein eigener Raum.
Wir müssen uns "zwei" als verschieden denken, um
die Grenze als Umschlag von Einem ins Andere zu fassen, zumindest
das Eine muss etwas sein, dann kann das Andere Nichts sein, wir
hätten dann einen Unterschied und damit eine Grenze. Wenn
das Eine ein homogenes Etwas, das Andere Nichts ist, bleibt die
Grenze als Diskontinuität, als Summe aller Umkehrpunkte von
gedachten Vektoren innerhalb einer Qualität. Also: "zwei"
heißt Unterschied, Grenze, Ebene, oder allgemein gesagt:
Flächen, die selber keine Räume sind, finden sich immer
"zwischen zwei Räumen".
Führen wir ein Drittes ein. Solange es innerhalb eines der
beiden verbleibt, haben wir den "inter two" -Zustand,
wie eben beschrieben. Tritt es in Beziehung zu beiden, kann es
sie trennen. Dann gibt es zwei Grenzflächen, die sich vielleicht
nie treffen, eine Art Parallelenproblem. Trennt das Dritte die
beiden nicht, sondern die drei stossen aneinander, dann gibt es
drei Grenzen und einen Ort, der alle drei begrenzt. Dieser Ort,
der drei Räume begrenzt, ist nur als Linie zu denken, er
ist "inter three". Dazu müssten alle drei Räume
verschiedene Qualitäten haben.
Bezüglich der relativen Größenausdehnung der Kompartimente:
Bei zwei Elementen kann eines das andere völlig umgeben,
wenn bei drei Elementen immer noch eines die beiden anderen völlig
umgibt, wird die "inter three"-Linie zum Kreis. Sind
sie etwa gleichwertig, wird die "inter three"-Linie
eine Art Achse, um die herum drei Elemente (der minimalste Kreis!)
angeordnet sind.
Sollte
Ihre Vorstellungskraft zu erlahmen beginnen:
Lassen Sie in Gedanken Seifenblasen in Kontakt treten. Zwei "kleben"
sich flächig aneinander, eine dritte "rutscht"
solange auf einer der beiden, bis sie zwischen den beiden "hängen
bleibt" und mit ihnen eine Linie in der Tiefe bildet. Sind
alle drei annähernd gleich groß, liegt die Linie zwischen
den zwei sich bildenden "Mercedessternen"
Mit
vier Elementen wird die Beziehungssituation zwar sehr komplex,
weil im Falle des Kontaktes von jedem mit jedem nun 4 Linien und
6 Grenzflächen entstehen, aber es kann auch ein Ort entstehen,
der erst zwischen vier (Räumen) sich findet, ein "inter
four", ein Punkt.
Erst
vier Oualitäten, die einander begrenzen, schließen
einen Punkt ein.
Vier Raumteile, tetraederartig zueinander angeordnet, erfüllen
auch Bedingungen, die wir als irreduzibel "räumlich"
ansehen, denn drei Elemente könnten sich "höchstens"
in einer Ebene anordnen und erst ein Viertes kann sich darauf
erheben.
3.
Zusammenhänge
3.1
Wie viele Teilansichten eines Objekts, sei es ein Apfel oder
unser Planet Erde, braucht es, um seine ganze Oberflache zu erfassen?
Da die Kugel noch die einfachste Struktur darstellt, wollen wir
sie abzubilden versuchen.
Zwei
gegenüberliegende Polaufnahmen lassen den Äquator unabgebildet.
Zwei weitere Bilder können den Äquator fast ganz, bis
auf die Bereiche, wo er "umbiegt", erfassen. Ein Äquator
allein ist also nur durch mindestens drei Bilder in all seinen
Teilstrecken dokumentiert!
Sind
insgesamt also fünf "Blickpunkte" für die
ganze Kugel notwendig?
Oder, das gleiche Problem auf "'mechanisch": Wie viele
Nadelspitzen bzw. Druckpunkte können eine glatte Kugel fixieren?
Man
mag das Problem (und das Objekt) drehen und wenden, wie man will,
es sind mindestens vier Bilder oder Druckpunkte notwendig, und
diese in der Anordnung von vier Normalen auf die (Oberflächen-)
Dreiecke eines Tetraeders, um das Ganze zu sehen oder in den Griff
zu bekommen.
3.2
Biochemie
ist Kohlenstoffchemie, und Kohlenstoff hat vier Valenzen. Vier
Vektoren, die von einem Zentrum ausgehen und einander möglichst
wenig stören, nehmen Tetraederachsenlagen ein. Biomoleküle,
seien sie nun Ketten, Ringe, Netze oder komplexere Raumstrukturen,
sind meist Kompositionen aus Kohlenstoff-Punkten.
Fremd
ist uns diese schräge Dreieckwelt, wir alle stehen ja aus
Schwerkraftgründen gerade auf ebenem Boden. Gibt es den rechten
Winkel nicht auch auf der molekularen Ebene?
Als
Antwort zeigt uns die Evolutionsforschung die molekulare Ebene
schlechthin, die Biomembran. Sie trennte als erste Grenze das
Ein-Zell-Innere von der Umwelt - und beherbergt auch einige Paradoxien.
Ihre Teile sind unzählige parallele, dicht aneinandergedrängte,
gleichlange Kohlenstoffketten, aber nicht (wie bei Euklid´s
Ebene) benachbart "liegend", sondern "stehend":
Der horizontale Membrankörper wird aus lauter Vertikalen
gebildet! Der rechte Winkel ist der Struktur implizit. Enorme
Elastizität zeichnet dieses Bauprinzip der aneinandergleitenden
Elemente aus, es wirkt für das Leben als Barriere, Filter,
Rezeptor, Verstärker, Wandler.
In
der Biogeometrie geht also der Weg vom "Punkt" zur"
Fläche" nur über den 'Körper", der selber
aus "Linien" besteht!
Nehmen
wir nun eine andere flächige Struktur unter die Lupe, wo
wir den rechten Winkel zu Recht erwarten, aber vielleicht
überrascht sind, den Tetraeder als Fixationsprinzip zwischen
den Teilen zu finden.
Bei
den Textilien, egal ob Wollknäuel, Filz oder Leinenbindung,
sind Überkreuzungen der fädigen Teile das wichtigste
Bauprinzip. Im Fall von Strickwaren besteht übrigens das
Ganze aus einem Teil.
Im
Falle der Leinenbindung erzeugen Zug und Druck Reibung zwischen
den "Fadenkreuzen", die das Gewebe stabilisieren. Stellt
man sich einen Kontaktpunkt zwischen je zwei einander überkreuzenden
Fäden vor, kommen die Fadenelemente (Modell: Perlenkette)
rechtwinkelig so neben- und übereinander zu liegen, dass
ihre Zwischenräume wie zwei Sättel ineinandergreifen.
Je vier Elemente werden so zusammengehalten: dieses Kreuz ist
letztlich, systemisch d.h. funktionell gesehen, ein Tetraeder.
Haken
und Öse, Ketten, Knopf und Loch sowie der Keil können
auf analoge Weise in Kontaktpunkte zerlegt werden. Als Minimalstruktur
für einen "Punkt der Ruhe" müssen mindestens
vier Elemente derart zusammentreten, dass zwei und zwei überkreuz
oder eins auf drei kommt.
4.
Selbsterkenntnis als Suche nach dem Ganzen
Wenn
wir von der begründeten Annahme ausgehen, dass die Aufrichtung
von vier auf zwei Beine der entscheidende Vorgang auf dem Weg
vom Affen zum Menschen war, dann waren die Hände die ersten
selbsterkannten Körperteile.
Das
Auftauchen der Hände in der visuellen Umwelt, dieser faszinierenden
Objekte, deren Zusammenhang mit dem beobachtenden Auge selbst
nicht sichtbar ist, muß eine ganz neue Erlebnisqualität
hervorgebracht haben. Wie lange hat das Hominidengehirn gebraucht
festzustellen, daß diese Objekte zu ihm gehören, weil
es ihre Bewegung "versteht"? Spiegelbildlich doppelt
angelegt, sind die Arme schlangenartig und doch steif rnechanisch
beweglich, ihre je fünf Anhängsel können beliebige
Formen umfassen, halten, stoßen, werfen, verformen...
Diese
Eigenwahrnehmung der Eigenbewegung könnte der Ursprung der
sogenannten Subjekt-Objekt-Spaltung sein, denn nur, wenn das Objekt
Teil des Beobachters ist, kann man von Spaltung reden.
Das
m.E. Entscheidende an dieser Hypothese ist der dynamische Aspekt.
Die Zugehörigkeit des Teils zum Ganzen wird nicht durch Analyse,
Zerlegung erkannt, sondern aus der übereinstimmenden Bewegungsweise.
Könnte das Gehirn nicht seine Erregungsmuster für die
Handbewegungen im fast gleichzeitig über die Augen zurückgemeldeten
Beobachtungsmuster wiedererkennen, wäre Repräsentation
des Einen im Anderen, wäre Identifizierung und Vergleich
nicht möglich.
Wenn
Handbewegungen dann Spuren in der Umwelt zurücklassen, können
auch diese, allerdings als statische "Eigen"-Produkte
identifiziert werden. K.POPPER´s "Welt 3" kann
beginnen......
Der
Verlust der Greiffüße und des Fells brachte einen anderen,
mindestens gleich wichtigen "abgespaltenen Körperteil"
vor die Augen: Das Baby. Es wurde auf Händen getragen und
der Blickkontakt machte für alle Beteiligten das Gesicht
zur wichtigsten Landschaft der Welt: Als Einheit vom Hintergrund
abgehoben, deutlich in Teile gegliedert, flächig und räumlich
zugleich, unendlich variabel beweglich und doch unverwechselbar.
Ausdruck
macht Eindruck, Einfühlen und Verstehen spielten sich in
diesem Vis-a-vis ab. Als "natürliche Psychologen"
können wir schon als Kleinkinder unsere soziale Umgebung
ausreichend richtig interpretieren.
Vertrautes,
aber nichteigenes Gesicht (der Mutter) und die eigenen Hände
sind so vielleicht die ersten Bausteine, und es ist anzunehmen,
daß die Augen nicht ruhen werden, bis sie das Bild vom Selbst,
das Mosaik des eigenen Körpers ganz zusammengesetzt haben.
Das
Gehörte, dem man folgt, kommt aus dem Mund der Eltern, das
ist eine wichtige Entdeckung. Daß aber die allwissende Kontrolle,
ob man folgt, in ihren Augen liegt, ist wieder eine eigene Entdeckung
- es ist Voraussetzung für das folgende, das entscheidende
Ereignis. Dieses Ereignis ist total wichtig - und so katastrophal
- dass wir es meistens schnell wieder vergessen: man schaut dann
in ein Gesicht, das man vielleicht schon öfters gesehen hat,
aber langweilig fand, weil es stumm und ohne eigene Bewegung blieb.
Irgendwann aber starrt dieses Gesicht so eigen zurück, sei
es unter der Oberfläche eines Teiches herauf oder aus dem
Rahmen eines Spiegels, es blickt in den eigenen Blick, es weicht
nicht aus, allmählich oder schlagartig wird klar, was da
schaut ist niemand anderer, ist niemand, bin ich!
Dieses
da bin ich, oder ist es ich? Erschrecken - wenn es jetzt weggeht
und mich alleine ließe? Dann hätte ich mich verloren
- wo ich mich doch gerade gefunden habe. Aber ich bewege mich hier
- und es muß folgen - es ist nichts eigenes, es ist mein Abbild,
aber ich bin das Ganze, hier herüben, ich bin ich....
5.
Kosmos und Prozess
Das
Erleben des Selbst als Ganzheit, als Einheit des Ortes, der Zeit
und der Handlung läßt den Menschen überall nach
Ganzheit suchen und finden, einen Kosmos aus unzähligen Objekten
aller Art.
Er
benennt die Dinge, zerlegt sie in Teile benennt und analysiert
auch diese, als überwiegend "männliche Auseinandersetzung"
mit ihnen. Oder er sammelt, füttert, vergrößert
und vermehrt sie, als überwiegend "weibliche Herangehensweise".
Aus
dieser Argumentationskette läßt sich zwanglos Folgendes
vermuten: Das Ganze und seine Teile, wie auch immer sie schon
für Tiere repräsentiert sein mögen, erhalten durch
unsere Selbsterkenntnis eine neue Qualität: Abgestufte Werte
je nach Ausmaß des Selbstbezugs. Die Skala dabei könnte
Ähnlichkeit mit uns selbst sein und entspräche dann
etwa dem Begriffsrahmen des "Anthropomorphismus" (Artgenosse,
Säuger, Vierbeiner, Wirbeltier, Lebewesen, Objekt ganz allgemein).
Eine
andere Kategorie des Selbstbezugs wäre kausal-dynamischer
Natur, alles was "begriffen" werden kann, hat Bedeutung
für uns (Nahrung, Werkzeuge, Waffen, schöne Dinge).
Zum
Abschluß noch einmal die "dynamisierte" Fassung
des "Erkenne Dich selbst": Bewegungen in der Umwelt
werden nach dem Modell der Eigenbewegung verstanden, obwohl die
Eigenbewegung nur in der Umwelt gefunden werden kann.