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Int. Konferenz über Humanethologie
Tutzing bei München, 27. - 31. Juli 1986
Semiotische Berichte 4/1986/311,312, ÖGS, Wien
Organisation:
Forschungsstelle für Humanethologie,
Max-Plank-Institut
für Verhaltensphysiologie,
D-8131 Seewiesen
Beginnen wir mit rein positiven Eindrücken: der herrlichen
Lage des Tagungsortes, mit eigenem Strand am Starnberger See
(Entkleidungsriten, Verhalten im Wasser), dem kooperativen Wetter,
der übersichtlichen Organisation.
Es sind um die 100 aktiven Teilnehmer, geschlechtlich annähernd
balanciert, mit relativem Überhang an "Silbermähnen"
(Alter mit wissenschaftlichem Rang positiv korreliert?)
Die Themen sind weit gestreut mit betonter Dominanz von Arbeiten
zum Sozialverhalten des Menschen. I. Eibl - Eibesfeldt, dessen
Wahl zum Präsidenten der Internationalen Humanethologengesellschaft
wir den deutschen Tagungsort verdanken, will ja die "universale
Grammatik des menschlichen Sozialverhaltens" beschreiben.
Er tut dies auch mit Dokumentarfilmen in qualitativ und quantitativ
imposanter Art. (Seine "Biologie des menschlichen Verhaltens",
kürzlich bei Piper erschienen, kann als umfassendste und
aktuellste Darstellung der Disziplin empfohlen werden.)
Es scheint nach heutigem Stand des Wissens zweifellos, dass
Geselligkeit das Wesensmerkmal von Homo Sapiens ist. Erstaunlicherweise
sind aber zwei dafür wichtige (wenngleich empirisch widerspenstige)
Konzepte dem Großteil der Tagungsteilnehmer nicht bekannt:
1. Beobachten von Artgenossen, Vorherwissen und Sicheinstellen
auf
deren Verhalten hat die vormenschliche Gehirnentwicklung
stark gefördert ("Social function
of intellect") und
2. diese Fähigkeit zur (Human-) Ethologie ist uns angeboren
(we are "nature's psychologists"!).
Ein anderes Problemfeld formulierte ein Journalist aus kritischer
Distanz etwa so: "Die beschäftigen sich ja alle mit
dem, was biologisch ist am Menschen, nicht mit dem, was menschlich
ist ..." Will aber jemand, wie W. SCHLEIDT in einem Roundtable,
eine vollständige Verhaltensbeschreibung des homo sapiens,
ein Ethogramm von der Geburt bis ins Alter ankündigen,
so löst das mit Hinweis auf das Scheitern vieler derartiger
Versuche nur Skepsis aus. Es scheint also ein prinzipielles
Problembewusstsein vorhanden zu sein, etwa "Wie der Mensch
zum Menschen wurde wissen wir noch nicht genau" oder "Wie
wird Verhalten in der DNS kodiert".
Ist die Humanethologie wirklich eine wissenschaftliche "Sackgasse"
(wie R. HINDE einmal urteilte)? In Tutzing bietet sich eher
das Bild eines verkehrsreichen Kreuzungsbereiches, von dem aus
in die einzelnen Wissensdisziplinen teilweise
- empirisch betonierte Avenuen (Mutter-Kind-Verhalten,
nonverbale Kommunikation),
- gangbare Pfade (Psychiatrie, Kulturethologie), aber auch
- unwegsames Gelände (Ethnozentrismus, Aggression, Bewusstseinsproblem,
moralisch-rechtliche Normen) erstrecken.
Die wenigen Male, wo Methodik angesprochen wird (Verstehen,
Beschreiben und Erklären) zeigt sich ein gewisser Mangel
an philosophischer, wissenschafts-theoretischer Sichtweise:
Das speziell der Humanethologie anhaftende Selbstreferenzproblem
wird nur in einem Vortrag (J. RICHER "Consciousness is
in the mind of the ascriber") gebracht und prompt breitest
diskutiert. Hilfsdisziplinen wie Semiotik, Kybernetik und Systemtheorie
werden kaum erwähnt; Dokumentation, Experiment und Statistik
überwiegen ...
Doch nun zu den persönlich stärksten Erlebnissen,
bevor der Eindruck eines sterilen Expertentreffs entsteht: Keiner
der kennen gelernten Teilnehmer hatte weniger als 2, 3 Disziplinen
in sich vereinigt, die Frage nach dem Beruf und den Interessen
zeigte fast lauter "Zerrissene" und Wanderer zwischen
den Welten. Von Musik bis Theologie über Technik, Medizin,
Psychologie, Politologie, Zoologie, Wirtschaft, Ethnologie,
Mathematik: Interdisziplinarität als individuelle Lebensweise
schafft anscheinend stärkere Kohärenz als eine Einzeldisziplin
je könnte. So sind auch die spontanen Diskussionen, die
informellen Gruppen und das große Fest in Seewiesen die
eigentlich wichtigen Kontakte und zugleich Bestätigungen,
dass Miteinandersein und einander Beobachten sich in unserem
Menschsein harmonisch integriert finden.